Krise & Chance April 2024

Krise Chance präsentiert von April 2024 Neues zu Restrukturierung und Insolvenz Zwischen Kalkül und Nachhaltigkeit

Ticker Investorenlösung gefunden Die Marke des Modelabels LIEBLINGSSTÜCK ist rückwirkend zum 1. März 2024 von Lovely Brands 24! übernommen worden. Hinter der Firmengruppe stehen die Geschwister Claudia Redder und Friedrich Nitzsche. „Kundinnen und Kunden können dadurch auch künftig die sportlich-elegante Damenmode von LIEBLINGSSTÜCK im eigenen Online-Shop und weiteren Online-Shopping-Plattformen, aber auch bundesweit in zahlreichen Geschäften des gehobenen Modefachhandels erwerben“, sagen die beiden Generalbevollmächtigten für die Restrukturierung von LIEBLINGSSTÜCK, die Rechtsanwälte Detlef Specovius und Michael Böhner von Schultze & Braun. „Es freut uns zudem, dass wir durch die Übernahme rund ein Drittel der Arbeitsplätze bei LIEBLINGSSTÜCK und den Unternehmenssitz in der Nähe von Rosenheim erhalten konnten.“ Zuvor waren die Verhandlungen über den Erwerb der Markenrechte, der Domain des Onlineshops sowie des Warenlagers von LIEBLINGSSTÜCK zwischen den Beteiligten erfolgreich abgeschlossen worden. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. In der September-Ausgabe 2023 erläutert Dr. Michael Rozijn von Schultze & Braun die zahlreichen Besonderheiten, die beim Erwerb, aber auch dem Verkauf einer Marke und der dazugehörigen Preisfindung beachtet werden müssen. Bild: www.qvc.de/lieblingsstueck

Zum 1. April ist es Brauch, seine Mitmenschen durch erfundene oder verfälschte, meist spektakuläre oder fantastische Geschichten, Erzählungen oder Informationen in die Irre zu führen. Aufgelöst werden mal mehr, mal weniger witzige Aprilscherze meist mit dem Ruf „April, April“. Weniger als Scherz, sondern vielmehr mit einem ersten Unterton wird seit einiger Zeit über ein mögliches Insolvenz-Kalkül diskutiert. Damit verbunden ist der Vorwurf, dass gerade das Schutzschirmverfahren, das mit der ESUG-Insolvenzrechtsreform 2012 eingeführt wurde, in einzelnen Branchen als Wettbewerbsvorteil missbraucht wird. Grund genug, sich mit diesem Thema einmal näher zu befassen. Im Titel-Beitrag „Zwischen Kalkül und Nachhaltigkeit“ unserer April-Ausgabe tun dies meine Kollegen Tobias Hartwig und Michael Böhner. Darin beleuchten sie das Spannungsfeld der Insolvenz zwischen vermeintlichem Kalkül und der Nachhaltigkeit von Unternehmenssanierungen – ein Aspekt, den Schultze & Braun anlässlich des zehnten Jahrestages des Inkrafttretens des ESUG 2022 in einer groß angelegten Untersuchung unter die Lupe genommen hat. In seinem Beitrag „SIGNA mit Signalwirkung“ stellt mein Kollege Dr. Johannes Heck anhand des Beispiels des SIGNA-Konzerns die Regelungen dar, die bei grenzüberschreitenden Sanierungen auf Konzernebene zum Tragen kommen – nicht nur angesichts der Auswirkungen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs des SIGNA-Konzerns, sondern auch vor dem Hintergrund der stark internationalen und exportorientierten Ausrichtung der deutschen Wirtschaft ein wichtiges Thema. Ebenfalls wichtig und von großer Bedeutung ist das Thema, über das meine Kollegen Dr. Ludwig J. Weber und Thomas Dömmecke im Interview „64/15 ist alles andere als 08/15“ sprechen. Die Geschäftsleiterhaftung spielt angesichts der steigenden Insolvenz-Zahlen und der anhaltenden wirtschaftlichen Herausforderungen eine immer wichtigere Rolle. Ich wünsche Ihnen eine informative und aufschlussreiche Lektüre, Ihr Tobias Hirte e d i t o r i a l

Der Geschäftsbetrieb des Braunschweiger Personaldienstleisters Jobline Personaldienstleistung läuft auch nach dem Insolvenzantrag ohne Einschränkungen weiter. Der vom Amtsgericht Braunschweig bestellte vorläufige Insolvenzverwalter, Wirtschaftsjurist Tobias Hartwig von Schultze & Braun, verschafft sich derzeit einen Überblick über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens und prüft verschiedene Sanierungsoptionen. Die knapp 90 Mitarbeitenden des Unternehmens sind bis Ende April über das Insolvenzgeld abgesichert. „Auch die Kunden von Jobline müssen sich keine Sorgen machen. Unsere qualifizierten Mitarbeitenden stehen den Unternehmen der Region wie bisher zur Verfügung und werden weiterhin dorthin vermittelt, wo sie gebraucht werden. Daran ändert das Verfahren nichts“, sagt Hartwig. Zu den Möglichkeiten einer Unternehmenssanierung zählen sowohl eine Sanierung aus eigener Kraft mittels eines Insolvenzplans oder aber der Verkauf des Geschäftsbetriebs an einen geeigneten Investor. „Wir werden beide Wege eingehend prüfen und weiterverfolgen und uns am Ende auf denjengen festlegen, der den schnelleren und größeren Erfolg verspricht. Wir möchten möglichst rasch Klarheit für Mitarbeiter und Kunden, ohne jedoch auf die notwendige Sorgfalt zu verzichten“, so der vorläufige Insolvenzverwalter. Prüfung der Sanierungsoptionen Ticker Bild: www.jobline-personal.de/ Investor Dr. Elske Fehl-Weileder von Schultze & Braun ist unter anderem am Münchner Standort der bundesweit vertretenen Kanzlei tätig und wird dort regelmäßig als Insolvenzverwalterin bestellt. So auch seit Mitte Dezember für das HealthTech-Start Up Smart4Diagnostics, für das sie nun Die Fichter Maschinen GmbH hat Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beim Amtsgericht Freiburg im Breisgau gestellt. Der Spezialist für Montagemaschinen mit Sitz im baden-württembergischen Eichstetten am Kaiserstuhl will sich mit Hilfe Sanierun und Neua

des Verfahrens neu aufstellen und einen Investor suchen. Das Amtsgericht Freiburg bestellte den Sanierungsexperten Dr. Dirk Pehl von Schultze & Braun zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Der Geschäftsbetrieb des Unternehmens läuft indes ohne Einschränkungen weiter. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist zuversichtlich, dass eine Sanierung gelingen kann. „Die Auftragsbücher sind weiter gut gefüllt und die Kunden werden unverändert bedient. Wir werden uns für die weitere Sicherung des Unternehmens unverzüglich auf die Suche nach möglichen Investoren machen, um die Gespräche zeitnah zu beginnen und Fichter Maschinen mit einem starken Partner in die Zukunft zu führen.“ Die 53 Mitarbeitenden wurden in einer Belegschaftsversammlung über das Verfahren und die nächsten Schritte informiert. eine Investorenlösung erreichen konnte: Die Venture Targeter 3 AB, eine Tochter des schwedischen Risikokapitalgebers Katalysen Ventures AB, hinter dem eine Gruppe von Investoren aus Schweden, dem Vereinten Königreich und den USA steht, hat den Geschäftsbetrieb rückwirkend zum 1. März erworben und auch die gesamte Belegschaft übernommen. „Es freut mich sehr, dass die Sanierung und Neuaufstellung gelungen ist. Smart4Diagnostics kann nun seine Kernkompetenz im Bereich der digitalen Nachverfolgung von Laborproben, der sogenannten Präanalytik, ausbauen und die Anwendung auf die nächste Stufe heben“, sagt Fehl-Weileder. Über die Besonderheiten bei der Sanierung von Startups und darüber, was Geschäftsführer von Start Ups im Fall einer finanziellen Krise machen können und worauf sie achten sollten, spricht die Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht zusammen mit ihrem Kollegen Rüdiger Bauch im Interview „Ist ein Startup insolvent, muss das nicht automatisch in einer Abwicklung enden“ auf dem Blog von Schultze & Braun. Bild: https://smart4diagnostics.com Bild: https://fichter-maschinen.de/ renlösung angestrebt ng aufstellung gelungen

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Wer hat noch nicht, wer will nochmal?! So lässt sich das (vermeintliche) Insolvenz-Kalkül, über das zum Teil sehr angeregt diskutiert wird, in einem Satz zusammenfassen. Oder anders formuliert: Weil das jetzt alle in der Branche machen und ich ansonsten mit meinem Unternehmen ins Hintertreffen gerate, gehe ich jetzt lieber auch in ein Insolvenzverfahren. „Angesichts der Tatsache, dass sich ein Unternehmen mit einem erfolgreich absolvierten Insolvenzverfahren von seinen Verbindlichkeiten und Altlasten befreien kann, klingt das zunächst nachvollziehbar und irgendwie auch ein wenig verlockend“, sagt Tobias Hartwig von Schultze & Braun. „Allerdings setzt ein Insolvenzverfahren immer voraus, dass ein sogenannter Insolvenzgrund vorliegt, bei dem die Insolvenzantragspflicht greift. Das Unternehmen muss also entweder drohend zahlungsunfähig, die Zahlungsunfähigkeit muss bereits eingetreten sein oder das Unternehmen ist überschuldet. Ein prosperierendes Unternehmen kann also niemals einen Insolvenzantrag stellen.“ Wirtschaftliche Notwendigkeit Eine Sanierung mit Hilfe des Insolvenzrechts ist und bleibt also nur dann sinnvoll und möglich, wenn eine wirtschaftliche Notwendigkeit besteht und ein Antragsgrund gegeben ist. „Zudem ist die Sanierung eines Unternehmens – wenn sie denn rechtlich möglich ist – auch mit den Möglichkeiten des Insolvenzrechts alles andere als ein Selbstläufer und auch kein Allheilmittel“, sagt Michael Böhner von Schultze & Braun. „Denn wenn die Strategie für den Neustart fehlt, nützt auch die Befreiung von Verbindlichkeiten und Altlasten nichts.“ In einem solchen Fall steht man dann wirtschaftlich gesehen sehr wahrscheinlich bald wieder mit dem Rücken zur Wand. Die vermeintliche Sanierung war in einem solchen Fall nicht so nachhaltig, dass das Unternehmen danach den erneuten Gang zum Insolvenzgericht vermeiden kann.“ In punkto Nachhaltigkeit müssen sich Insolvenzverfahren aber keineswegs verstecken. Das belegt die Kernerkenntnis einer großangelegten Untersuchung von Schultze & Braun anlässlich des zehnten ESUGJahrestages 2022 für die der Zeitraum von März 2012 bis September 2021 anhand sogenannter Zweitinsolvenzen unter die Lupe genommen wurde: Sowohl das Regelinsolvenzverfahren als auch die Eigenverwaltung mit und ohne Schutzschirmverfahren stehen für nachhaltige Unternehmenssanierungen. Krisenursachen beseitigen Die Untersuchung zeigt zudem, dass relativ schnell klar ist, ob ein Unternehmen nachhaltig saniert wurde und durch das Insolvenz-, Eigenverwaltungs- Die Insolvenzordnung hat den Sanierungsgedanken vor 25 Jahren zum zentralen Element von Insolvenzverfahren gemacht. 2012 hat das ESUG der Eigenverwaltung und dem Schutzschirmverfahren zum Durchbruch verholfen. Gerade das Schutzschirmverfahren ist jedoch zuletzt in einzelnen Branchen in den Verdacht geraten, als Wettbewerbsvorteil missbraucht zu werden. T i tel

oder Schutzschirmverfahren die Krisenursachen beseitigt wurden. Denn der überwiegende Anteil der Zweitinsolvenzen ist innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Erstinsolvenz erfolgt. „Im Umkehrschluss bedeutet das: Sind nach einer Sanierung mehr als fünf Jahre vergangen, sind bei einem sanierten Unternehmen in der Regel die Ursachen überwunden, die zur Insolvenz geführt haben“, ordnet Hartwig ein. Für Banken ist diese Erkenntnis der Untersuchung für die Bewertung ihres Ausfallrisikos von besonderer Bedeutung. Sie sollten die Geschäfts- und Finanzplanung eines sanierten Unternehmens auch vor dem Hintergrund der Fünf-Jahres-Erkenntnis der Untersuchung betrachten. „Die fünf Jahre sind aber auch in einem weiteren Zusammenhang für Banken und Unternehmen relevant. Die Untersuchung zeigt, dass Unternehmen, die innerhalb von fünf Jahren nach einer Sanierung in der Erstinsolvenz erneut einen Insolvenzantrag stellen müssen, fast 1,5-mal häufiger abgewickelt als saniert werden“, erläutert Böhner. „Das Verhältnis von sogenannten Zweitabwicklungen – also einer Abwicklung in der zweiten Insolvenz – zu Zweitsanierungen belegt, wie wichtig es für Banken ist, bei der Kreditgewährung auf eine ausreichende Besicherung zu achten.“ Die zweite Chance beim ersten Mal nutzen Für Unternehmen unterstreicht diese Erkenntnis wiederum, wie wichtig es ist, in einer Sanierung die Ursachen anzugehen, die zur Insolvenz geführt haben. „Die Fortführung des Unternehmens und der Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze stehen zurecht im Fokus jeder Sanierung. Wenn jedoch lediglich die Passivseite der Bilanz reduziert und dann operativ weiter so wie bisher vorgegangen wird, wird der Sanierungserfolg sehr wahrscheinlich nur von kurzer Dauer sein“, sagt Hartwig. „Um eine nachhaltig erfolgreiche Unternehmenssanierung zu erreichen, darf man sich nicht davor scheuen, mitunter auch tiefgreifende Einschnitte vorzunehmen. Denn: Von einer nachhaltigen Unternehmenssanierung profitieren am Ende alle.“ Michael Böhner ergänzt: „Daher ist es auch eine positive Entwicklung, dass Unternehmen die Sanierung mit Hilfe eines Regelinsolvenz- oder Eigenverwaltungsverfahrens mit und ohne Schutzschirm inzwischen vermehrt als zweite Chance sehen und ergreifen. Diese zweite Chance sollte jedoch von den Unternehmen idealerweise beim ersten Mal genutzt werden.“ Die Devise lautet in jeden Fall: Im Krisenfall schnell handeln und keine Zeit verlieren! Mehr zum Thema „Zwischen Kalkül und Nachhaltigkeit“ gibt es im Interview „Insolvenz im Spannungsfeld“ auf dem Blog von Schultze & Braun. Darin sprechen Tobias Hartwig und Michael Böhner darüber, warum Überzeugungsarbeit gerade in Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren wichtig ist und wie sie den Erfolg der Insolvenzrechtsreform ESUG bewerten.

SIGNA mit Sig Grenzüberschreitende Konzernsanierungen Thema Der wirtschaftliche Zusammenbruch des SIGNAKonzerns mit seinen Hunderten Tochtergesellschaften und vielfachen wirtschaftlichen Verflechtungen wirft ein Schlaglicht auf die Regelungen, die in grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen auf nationaler und internationaler Ebene greifen. Nicht nur die SIGNA Holding, die an der Spitze des Konzerns stand, sondern zahlreiche der SIGNA -Tochtergesellschaften befinden sich mittlerweile in Insolvenzverfahren – in verschiedenen Ländern und unter der Leitung unterschiedlicher Insolvenzverwalter. „Der Fall SIGNA zeigt insoweit anschaulich, welche negativen Auswirkungen im Falle der Insolvenz einer Konzerngesellschaft für die gesamte Gruppe drohen“, sagt Dr. Johannes Heck von Schultze & Braun. Heck, der als Rechtsanwalt in Deutschland und Italien zugelassen ist, ist an den Standorten der Kanzlei in Mailand und Bologna tätig und kümmert sich schwerpunktmäßig um grenzüberschreitende Sachverhalte. Eine Frage des Prinzips Im Grundsatz gilt im europäischen wie auch im deutschen Insolvenzrecht das Prinzip: eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz. „Im Falle einer Konzerninsolvenz bedeutet das, dass für jede beteiligte Gesellschaft ein eigenes Insolvenzverfahren beantragt werden muss, selbst wenn die Konzerngesellschaften als wirtschaftliche Einheit operieren“, sagt Heck. Jedoch führt das gerade dann, wenn es viele Gesellschaften gibt, bei Konzernen oftmals zu unübersichtlichen Situationen. Denn häufig werden die Insolvenzanträge an unterschiedlichen Gerichten gestellt und im Extremfall hat dann jede Gesellschaft einen eigenen Insolvenzverwalter. „In praktischer Hinsicht kann durch diese Vielzahl an Verfahren und Verwaltern ein erhebliches Spannungsverhältnis entstehen“, erläutert Heck, der bereits in einer Vielzahl von internationalen Konzerninsolvenzen an den Sanierungsbemühungen beteiligt war. „Besonders herausfordernd wird es, wenn konzernwichtige betriebs- oder finanzwirtschaftliche Prozesse auf unterschiedliche Gesellschaften im Konzern verteilt sind, die dann im Fall der Fälle in unterschiedlichen Verfahren und bei verschiedenen Verwaltern angesiedelt sind – beispielsweise das oft praktizierte Liquiditätsmanagement im Rahmen sogenannter CashPooling-Systeme sowie gruppeninterne Leistungs- und Lieferbeziehungen. Hinzu kommen dann noch die zusätzlichen Herausforderungen, die sich aus den divergierenden nationalen Rechtsrahmen bei grenzüberschreitenden Konzernsanierungen ergeben.“ Die deutsche Wirtschaft ist traditionell stark exportorientiert. Von daher ist die Frage, nach den rechtlichen Möglichkeiten für eine grenzüberschreitende Sanierung von Konzerngesellschaften von großer Bedeutung, die ihren Sitz in Deutschland haben.

gnalwirkung: Einen international agierenden Konzern als wirtschaftliche Einheit zu sanieren und zugunsten der Gläubiger den im Konzern angelegten Mehrwert zu realisieren ist also alles andere als ein Selbstläufer. Und dabei muss nicht einmal der gesamte Konzern ein wirtschaftliches Problem haben. So besteht zum Beispiel die Gefahr, dass bereits allein die Insolvenz einer Konzerngesellschaft einen Dominoeffekt erzeugt und zur Insolvenz aller verbundenen Unternehmen – einer sogenannten Ketteninsolvenz – und einem unkontrollierten Auseinanderfallen des Konzerns führt. Eine gemeinsame rechtliche Grundlage Da stellt sich die Frage, welche Regelungen bei grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen gelten und was sie für die Beteiligten bedeuten. Geht es wie bei SIGNA hauptsächlich um innereuropäische Sachverhalte – die meisten der insolventen Gesellschaften haben ihren Sitz in Europa – kommen die Regelungen der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO) zur Anwendung. Die EuInsVO bildet seit 2002 die gemeinsame rechtliche Grundlage für grenzüberschreitende Insolvenzen in der EU. Sie legt zum Beispiel fest, dass Insolvenzverfahren, die innerhalb der EU eröffnet werden, automatisch in allen EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark anerkannt werden, ohne dass es dazu einer gesonderten Gerichtsentscheidung bedarf. Zudem besagt die EuInsVO, dass für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen grundsätzlich das nationale Insolvenzrecht des Mitgliedstaates gilt, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird. 2015 wurde die EuInsVO grundlegend reformiert. „Unter anderem wurden damals Regelungen für grenzüberschreitende Konzerninsolvenzverfahren aufgenommen – etwa für die Koordination solcher Verfahren“, erläutert Heck. „Definiert werden in diesen Regelungen zum einen die Zusammenarbeit der verschiedenen Verwalter und Gerichte. Zum anderen ermöglicht die EuInsVO seit der Reform ein sogenanntes Gruppen-Koordinationsverfahren.“ Gruppen-Koordinationsverfahren werden von einem Koordinator geleitet, der eher als Mediator, denn als klassischer Insolvenzverwalter agiert. Seine Aufgabe ist es, die verschiedenen Verfahren aufeinander abstimmen, um den Ablauf so reibungslos wie möglich zu gestalten und möglichst eine gemeinsame Sanierungsstrategie zu erarbeiten. Dazu stellt er einen sogenannten Gruppen-Koordinationsplan auf, der den geplanten Verfahrensablauf festhält. „Mit einem solchen koordinierten Ansatz, lässt sich für alle Beteiligten meist ein besseres Ergebnis erzielen“, sagt Heck. „Wichtig ist aber, dass das Verfahren nach der EuInsVO stark konsensual geprägt ist. Der Erfolg hängt somit entscheidend von der Bereitschaft der handelnden Personen für eine verstärkte Kooperation und Koordination ab.“ Im Interview auf dem Blog von Schultze & Braun sprechen Dr. Johannes Heck und sein Kollege Dr. Christoph von Wilcken zusätzlich zu den Regelungen der Europäischen Insolvenzverordnung auch über das deutsche Konzerninsolvenzrecht und seine Anwendung.

Thema Herr Weber, Herr Dömmecke, vor rund drei Jahren wurden die Haftungsvorschriften für Geschäftsleiter, die bislang in unterschiedlichen Gesetzen enthalten waren, durch den § 15 b der Insolvenzordnung ersetzt. Was sollten Geschäftsleiter in diesem Zusammenhang wissen? Weber: Die Regelungen in § 15 b der Insolvenzordnung haben für Geschäftsleiter mit Blick auf eine mögliche finanzielle Haftung große Bedeutung. In diesem Paragraphen sind seit dem Jahreswechsel 2020/2021 die bisherigen Regelungen aus § 64 GmbHGesetz, § 92 Absatz 2 Aktiengesetz sowie aus Handelsgesetzbuch und Genossenschaftsgesetz zusammengefasst. Wer sich bislang noch nicht mit diesen Regelungen befasst hat, für den lohnt sich angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Herausforderungen und der wieder in vollem Umfang geltenden Insolvenzantragspflicht ein Blick in die Insolvenzordnung auf jeden Fall. Dies gilt erst recht für Geschäftsleiter, deren Unternehmen sich in einer Krise befinden oder absehbar auf eine solche zusteuern. Dömmecke: Kurz zusammengefasst geht es in § 15 b der Insolvenzordnung um die Haftung des Geschäftsleiters für Zahlungen, durch die einer Gesellschaft, die eigentlich insolvent ist, nach Eintritt der Insolvenzreife Vermögen entzogen wird – mit der also die Gläubiger der Gesellschaft geschädigt werden, da durch die Zahlung die Insolvenzmasse geschmälert wird. So einfach, so klar, könnte man denken. Eine maßgebliche Besonderheit ist jedoch, dass die Frage, was eigentlich unter einer Zahlung zu verstehen ist, im Gesetz nicht definiert ist. Da hat sich schon nach altem Recht eine durchaus verwirrende Handhabung durch die Gerichte etabliert, die dem Geschäftsleiter zum Verhängnis werden kann. So sollten es Geschäftsleiter zum Beispiel vermeiden, in die sogenannte Kontofalle zu tappen, die bei einem Zahlungseingang auf dem debitorischen, also im Minus befindlichen Konto als Zahlung an die Bank zuschnappen kann. Sie sprechen den Punkt der Insolvenzreife an. Wie können Geschäftsleiter erkennen, dass ihr Unternehmen insolvenzreif ist, und was sollten sie in einem solchen Fall tun? Dömmecke: Insolvenzreif ist ein Unternehmen, wenn einer oder mehrere der zwingenden Insolvenzgründe vorliegen. Dabei handelt es sich um die bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit sowie die ÜberSeit dem 1. Januar 2024 gilt die Insolvenzantragspflicht wieder in vollem Umfang. Angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Herausforderungen sollten sich Geschäftsleiter regelmäßig mit der Frage befassen, ob ihr Unternehmen unter Umständen insolvenzreif ist – gerade auch, um finanzielle Haftungsrisiken zu vermeiden. Dr. Ludwig J. Weber und Thomas Dömmecke von Schultze & Braun erläutern, was in diesem Zusammenhang zu beachten ist. = alles 64/15

schuldung. Bei der Überschuldung hat sich zum Jahreswechsel 2023/2024 einiges geändert, und es sind Erleichterungen weggefallen. So muss eine Gesellschaft mit Unterbilanz seit dem 1. Januar 2024 wieder für zwölf Monate durchfinanziert sein. Ist das nicht der Fall, ist das Unternehmen in der Regel insolvenzreif, und die Geschäftsleitung muss innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Insolvenzantrag stellen. Die Zahlungsunfähigkeit wird aber auch weiterhin der mit Abstand häufigste Grund für Unternehmensinsolvenzen bleiben. Weber: Zahlungsunfähig und damit ebenfalls insolvenzreif ist ein Unternehmen zu einem Stichtag, wenn es seine aktuellen fälligen Verbindlichkeiten mit den vorhandenen liquiden Mitteln nicht zu mindestens 90 % bezahlen kann und sich diese Lücke innerhalb der nächsten drei Wochen nicht vollständig schließen lässt. Ob das der Fall ist und – wenn ja – ab wann, lässt sich mit einer erweiterten Liquiditätsbilanz feststellen, bei der mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Das klingt nach einer durchaus komplexen Angelegenheit. Wie sollten Geschäftsleiter vorgehen, um Haftungsrisiken zu vermeiden? Dömmecke: Die gute Nachricht ist: Auch wenn ein Unternehmen in eine finanzielle Schieflage gerät oder zu geraten droht, ist ein Geschäftsleiter angesichts der drohenden Haftungsrisiken aus § 15 b der Insolvenzordnung nicht dazu verdammt, wie das Kaninchen vor der Schlange tatenlos und gelähmt vor Angst zu verharren. Gleichwohl gilt aber: 64/15 ist alles andere als 08/15. Das heißt: Es ist wichtig, sich im Fall einer Krise frühzeitig fachliche Expertise ins Unternehmen zu holen – und das nicht nur, weil durchaus nicht immer sofort ersichtlich ist was alles unter den Begriff „Zahlung“ fällt, sondern weil der vorgelagerte Punkt „Ist mein Unternehmen unter Umständen bereits insolvenzreif und, wenn ja, seit wann?“ von großer Relevanz ist. Denn daran lässt sich festmachen, ob und – wenn ja – welche Zahlungen in einem solchen Fall noch erlaubt wären und welche nicht. Weber: Gerade im Krisenfall und besonders, wenn die Insolvenzreife bei einem Unternehmen bereits eingetreten ist, sollte daher jede Zahlung individuell überprüft werden, um auf der sicheren Seite zu sein – auch Lohnzahlungen, Mietzahlungen oder Warenbestellungen stellen dabei keine Ausnahme dar. Als Anhaltspunkt kann grundsätzlich die Rolle eines objektiv denkenden Gläubigers dienen: Hätte dieser der Zahlung im Interesse einer vorläufigen, die Werte des Unternehmens erhaltenden Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs zugestimmt? Der Geschäftsleiter muss sich diese Frage also für eine Vielzahl von Zahlungen stellen. Dabei verschärft sich der Prüfungsmaßstab nochmals, wenn die Frist zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrages abgelaufen ist. Dann sind Zahlungen nur noch im absoluten Ausnahmefall erlaubt. 08/15 andere als

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