Krise & Chance Oktober 2025

KRISE CHANCE präsentiert von Oktober 2025 Neues zu Restrukturierung und Insolvenz TEIL 9 VON „Erfolgsfaktor Sanierung“ REFERENTEN DER RESTRUKTURIERUNG NORDWEST DIE NEUE NORMALITÄT

In München hat vom 9. Bis zum 14. September mit der IAA MOBILITY das größte Mobilitätsevent der Welt stattgefunden! Und mit dem Blick auf die Zukunft der Messe gibt es gute Nachrichten für den Standort München. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hat beschlossen, den Vertrag mit der Messe München zu verlängern. Über ähnlich gute Nachrichten würde sich die deutsche Automobilindustrie sicherlich freuen! Denn auf ihr lastet gewaltiger Druck. Probleme gibt es in der deutschen Schlüsselindustrie zuhauf, die Aufgaben sind riesig. Gerade bei den deutschen Zulieferern. Sie bekommen unter anderem die gedämpfte Autoproduktion voll zu spüren. Für ein erfolgreiche Zukunft ist es gerade für Automobilzulieferer umso wichtiger, sich mit Experten auszutauschen – und genau das haben wir in der September-Ausgabe von Krise & Chance mit ihrem Schwerpunkt zur Automobilbranche getan und mit gleich mehreren gesprochen. Martin Kahl von FalkenSteg erläutert, warum ein spürbarer Kulturwandel entscheidend ist, um die Krise zu bewältigen und den Übergang zur E-Mobilität erfolgreich zu gestalten. Johannes Laumann von Mutares spricht im Zusammenhang mit Investments im Automotivebereich darüber, wie sich Risiken minimieren lassen und man auf einen langfristig gesunden Return hinarbeitet. Maximilian Dressler von EYParthenon geht in seinem Interview darauf ein, wie durch die temporäre Übernahme von Unternehmensanteilen die Ausproduktion in und außerhalb der Insolvenz gesichert werden kann und zeigt die Vorteile von ‚Shareholder as a Service‘-Modellen bei der Restrukturierung von Automobilzulieferern auf. Dr. Dietmar Haffa von Schultze & Braun ergänzt das Thema ‚Shareholder as a Service‘ um die rechtlichen Aspekte, und er zeigt, warum mit der entsprechenden Expertise und Vorbereitung die Chancen für eine erfolgreiche Umsetzung im Automotivebereich gut stehen und worauf dabei zu achten ist. Die geballte Automotive-Expertise gibt es aber nicht nur in dieser Ausgabe von Krise & Chance, sondern jedes Jahr auch bei der AutoReCon, der Automotive Recovery Conference von Schultze & Braun, die dieses Jahr am 5. September stattgefunden hat. Das Grußwort zur Bedeutung der Automobilindustrie hat Tilman Kuban von der CDU gesprochen. TICKER ALARM IN DER AUTOMOBILBRANCHE

Wir bewegen uns bereits seit einiger Zeit in einer neuen Normalität, in der sich die ökonomischen und geopolitischen Rahmenbedingungen so schnell und so massiv ändern wie wohl selten zuvor. Auch vor der lange erfolgsverwöhnten deutschen Wirtschaft machen die weltweiten geopolitischen Risiken nicht Halt: Lieferketten werden unterbrochen, Energiepreise steigen oder bleiben volatil, und neue Handelshemmnisse erschweren den Zugang zu wichtigen Märkten. Gerade für die exportorientierte deutsche Industrie ist die Planbarkeit von Investitionen und Geschäftsmodellen dadurch erheblich erschwert. Hinzu kommt die Ungewissheit über die künftige Ausrichtung der globalen Wirtschaftsordnung, die Unternehmen und Investoren vor zusätzliche Herausforderungen stellt. Umso wichtiger ist es, sich mit der neuen Normalität zu befassen und sich dazu auszutauschen, welche Antworten und Lösungsmöglichkeiten es in Zeiten wie diesen gibt. In dieser Ausgabe von Krise & Chance haben wir dafür mit den Referenten der Restrukturierung Nordwest gesprochen. Sie diskutieren darüber auch bei dem Expertentreffen, das jedes Jahr im Herbst von Schultze & Braun in Bremen ausgerichtet wird – dieses Jahr bereits am 17. September, aber nach der Restrukturierung Nordwest ist vor der Restrukturierung Nordwest, denn die Herausforderungen werden so schnell nicht weniger werden. Und sowohl die Referenten als auch ich, Dr. Ludwig J. Weber als Gastgeber der Restrukturierung Nordwest, stehen in der Zwischenzeit für einen Austausch gerne zur Verfügung. Patrik-Ludwig Hantzsch von Creditreform spricht darüber, warum der Kanzler und die Bundesregierung für die Wirtschaftswende zügig und kraftvoll handeln müssen, und er ordnet die nach wie vor hohe Zahl an Unternehmensinsolvenzen ein. Prof. Dr. Markus W. Exler von der Fachhochschule Kufstein Tirol erläutert, warum es sich lohnt, über die Grenzen des eigenen Mandats hinauszublicken und die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Deutschland genau zu beobachten, die aus seiner Sicht ganz erheblich stockt. Ralph Thiele, Oberst a.D. der Bundeswehr, stellt dar, warum sich Wirtschaftsunternehmen dringend mit den Risiken hybrider Kriegsführung auseinandersetzen sollten, um bei etwaigen Zwischenfällen gerüstet zu sein. Prof. Dr. Simone Loose, die Leiterin des Instituts für Wein- und Getränkewirtschaft an der Hochschule Geisenheim, gibt Hinweise dazu, worauf es bei Sanierungen in der deutschen Weinwirtschaft ankommt, die auf eine der größten Krisen seit Jahrzehnten zusteuert. Im neunten Teil unserer Serie „Erfolgsfaktor Sanierung“ steht der Batteriezellenhersteller CustomCells im Fokus. Maßgeblichen Anteil daran, dass das Startup nur zwei Monate nach dem Insolvenzantrag mit neuen Investoren wieder positiv in die Zukunft blicken kann, hat das Zusammenspiel von Insolvenzverwaltung und Sanierungsarbeitsrecht. Wir wünschen Ihnen eine interessante und aufschlussreiche Lektüre, Ihre Tobias Hirte und Dr. Ludwig J. Weber E D I T O R I A L

LIQUIDITÄT UND LOTTOGEWINN KUNSTSTOFFDOSEN, MONSTER UND Vor 60 Jahren (4. September 1965) wurde die Ziehung der Lottozahlen zum ersten Mal live im deutschen Fernsehen übertragen – verbunden mit der Hoffnung vieler Menschen auf einen Lottogewinn. Aber nicht nur viele Lottospieler, sondern auch Unternehmen würden zu einem warmen Geldregen beim Spiel „6 aus 49“ sicherlich nicht nein sagen – gerade dann, wenn sie auf eine wirtschaftliche Krise zusteuern oder sich bereits in einer solchen befinden, die Liquidität also sechs Richtige richtig gut vertragen könnte. Im Interview auf dem Blog von Schultze & Braun erläutern Thomas Vinnen von der Nord Leasing und Dr. Ludwig J. Weber von der bundesweit vertretenen Kanzlei, warum Sale & Lease Back beziehungsweise Sale & Rent Back gerade dann flexible Liquidität bieten kann, wenn diese kurzfristig erforderlich ist. Dr. Ludwig J. Weber ist in den Bereichen Unternehmensfinanzierung sowie Restrukturierung und Sanierung tätig und hat regelmäßig mit Themen aus diesen Bereichen zu tun. So vergrößert sich durch die Kreditvergabe von Banken an Unternehmen – bei der weiterhin der „Beziehungsstatus: Es ist kompliziert“ gilt – der Bedarf an alternativen Finanzierungsquellen, womit ganz sicherlich nicht das Lottospielen gemeint ist. Risikofinanzierer wie etwa Hedgefonds können für Unternehmen jedoch eine Option sein. Vorbereitung ist dabei jedoch das A und O – die Unternehmen müssen die Finanzierungsformen und Investitionsstrategien der Finanzinvestoren genau kennen. Wie diese aussehen, und worauf Unternehmen achten sollten, erläutert Weber in seinem Beitrag auf dem Blog von Schultze & Braun. Die Hoffnung auf einen Lottogewinn ist sicherlich auch alles andere als nachhaltig. Gleichwohl gewinnt Nachhaltigkeit für Unternehmen enorm an Bedeutung – gerade auch bei der Finanzierung. Im Interview „Bei nachhaltiger Die Marke Tupperware bekommt eine neue Chance – zumindest in fünf Ländern. Auch in Deutschland will die Mutter aller Kunststoffdosen wieder durchstarten. Ein wichtiger Faktor bei diesem Vorhaben ist die Marke Tupperware. Damit haben Tupperware, Air Berlin, Maredo, Praktiker, Neckermann oder Quelle eines gemeinsam: Sie wurden als Marke im Zuge eines Insolvenzverfahrens von Investoren übernommen. Der Umgang mit Marken insolventer Unternehmen ist in der Tat ein spannendes Thema – eines, mit dem sich Dr. Michael Rozijn von Schultze & Braun regelmäßig beschäftigt. Denn gerade bekannte oder traditionsreiche Marken können für den Neustart oder den Ausbau von Unternehmen oder Produktlinien das Marketing befeuern. Im Interview „Markante Marken“ auf dem Blog der bundesweit vertretenen Kanzlei ordnet er die Besonderheiten ein, die beim Erwerb, aber auch dem Verkauf einer Marke und der dazugehörigen Preisfindung beachtet werden müssen. Ein weiteres Unternehmen, bei dem die Marke eine wichtige Rolle spielt, ist das Jobportal Monster.de. Wobei man in diesem Fall wohl eher von „war“ statt „ist“ sprechen muss. „Monster.de meldet Insolvenz an“ – so hat Lisa Ksienrzyk von der WirtschaftsWoche ihren aufschlussreichen zum Insolvenzantrag des Jobportals Monster.de überschrieben. Die Überschrift hätte aber auch „Von Monstern und Marken“ lauten können. Denn ein ausschlaggebender Grund für den Insolvenzantrag war wohl die Tatsache, dass die eigenständigen Ländergesellschaften nicht mehr unter der Marke Monster auftreten und tätig sein können – die Rechte daran wurden zusammen mit der Stellenbörse nach der Insolvenz der Muttergesellschaft in den USA (ohne die Tochterunternehmen) verkauft. Die Website Monster.de hat ohne die Marke TICKER

Unternehmensfinanzierung nicht nur an ESG denken“ erläutert der Finanzierungs- und Sanierungsexperte von Schultze & Braun, warum Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit allerdings nicht nur unter ESG-Gesichtspunkten betrachten, sondern auch an die Langlebigkeit ihrer Finanzierung denken sollten. Aber auch, wenn beim Lotto und in der Finanzierung auf die falschen Zahlen gesetzt wurde, und eine finanzielle Restrukturierung notwendig ist, gibt es Möglichkeiten. Welche das sind und worauf Unternehmen und Finanzierer in solchen Situationen achten sollten, zeigt Weber im Interview „Krisen-Resilienz lässt sich nicht mit Schema F-Lösungen stärken!“. Monster aber viel von ihrem Wert eingebüßt. Fakt ist: „Von Monstern und Marken“ ist ein gutes Beispiel für die Bedeutung von Marken – nicht nur, aber eben auch in einer Insolvenz. Mit dem Blick auf Monster ist aber auch wichtig: Hat man die Marke, so ist man allerdings nicht auch zwingend Inhaber der gleichnamigen Internetdomain. Und auch beim Erwerb von Internetdomains sind wie beim Erwerb von Marken Besonderheiten zu beachten. Welche das sind, darum geht es im Beitrag „Wie Phönix aus der Grill-Asche“ – ebenfalls von Dr. Michael Rozijn und ebenfalls auf dem Blog von Schultze & Braun. NE D MARKEN Am 11. September 2025 heulten um 11 Uhr in ganz Deutschland viele Sirenen und unzählige Mobiltelefone begannen laut zu schrillen – Anlass war der bundesweite Warntag. Von vorneherein war an diesem Tag allerdings klar, dass es sich nur um einen Probealarm handelt, mit dem die technischen und organisatorischen Abläufe für den Fall einer Gefahr für die Bevölkerung einem Härtetest unterzogen werden sollen. Alles regelmäßig einem Härtetest unterziehen sollten auch Unternehmen – mit Hilfe eines Krisenfrüherkennungssystems, das vom Gesetzgeber vorgeschrieben ist. Wie sich ein Krisenfrüherkennungssystem einfach und kostengünstig einrichten lässt, erläutern Dr. Dietmar Haffa von Schultze & Braun und Prof. Dr. Werner Gleißner von der TU Dresden im Interview („Handeln, bevor das Kind in Richtung Brunnen geht“, Dezember 2022) auf dem Blog der bundesweit vertretenen Kanzlei. Die beiden Experten sprechen zudem darüber, worauf Unternehmen und finanzierende Banken bei einem System zur Krisenfrüherkennung achten sollten und wie alle Beteiligten davon profitieren. Fakt ist aber auch: Kein Unternehmen ist davor gefeit, in eine Krise zu geraten. Wenn Krisenanzeichen aber frühzeitig erkannt werden, stehen die Chancen gut, eine solche Situation zu meistern oder sie sogar komplett zu vermeiden. Doch wie lässt sich eine Krise frühzeitig erkennen? Die Anzeichen dafür und wie Geschäftsleiter diese erkennen, erläutern Stefan Höge und René Schmidt von Schultze & Braun ihrem Beitrag „Wirtschaftliche Schieflage: Krisenanzeichen frühzeitig erkennen“ auf dem Blog der Kanzlei. Wichtig ist, die Augen nicht zu verschließen, wenn ein Unternehmen auf eine Krise zusteuert oder sich bereits in einer befindet, sondern so früh wie möglich mit Gegenmaßnahmen zu beginnen – am besten dann, wenn die Krise noch nicht eingetreten ist und das Unternehmen noch finanzielle Reserven hat. ALARM AM WARNTAG

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HANDELN, BEVOR ES ZU SPÄT IST

Im Interview spricht Patrik-Ludwig Hantzsch von Creditreform darüber, warum der Kanzler und die Bundesregierung für die Wirtschaftswende zügig und kraftvoll handeln müssen, und er ordnet die nach wie vor hohe Zahl an Unternehmensinsolvenzen ein. Herr Hantzsch, wie sieht Ihre Bilanz nach rund 100 Tagen schwarz-roter Koalition aus? Hantzsch: Ein Großteil der Aufbruchstimmung ist verflogen. Die Bundesregierung hat zwar viele Schwachstellen zutreffend identifiziert. Aber es mangelt an Entschlossenheit, die Herausforderungen anzugehen. Die Wirtschaft vermisst klare Signale für unbequeme, aber notwendige Strukturreformen und einen spürbaren Bürokratieabbau. Kleine und mittelgroße Unternehmen vermissen eine klare Handschrift der neuen Regierung zugunsten des Mittelstands. Was würden Sie als Wirtschaftsforscher der Bundesregierung raten? Hantzsch: Angesichts der Wirtschaftsdaten müssen Friedrich Merz und sein Team zügig und kraftvoll nachlegen, sonst wird die Wirtschaftswende nicht gelingen. Der Handlungsdruck ist groß, die deutsche Wirtschaft steckt trotz einiger positiver Signale in der Rezession fest. Im zweiten Quartal 2025 hat sich das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent verringert. Die Industrieproduktion ist sogar um 2,8 Prozent geschrumpft. Im August hat die Zahl der Arbeitslosen die Marke von drei Millionen überschritten – das erste Mal seit zehn Jahren. Die schwache Nachfrage, steigende Kosten und anhaltende Unsicherheit bringen immer mehr Unternehmen in eine finanzielle Schieflage. Im ersten Halbjahr 2025 ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen nach unseren Berechnungen als Creditreform auf fast 12.000 gestiegen – ebenfalls ein Zehnjahreshoch. Und Besserung ist leider nicht in Sicht, ganz im Gegenteil: Die Zahl der Insolvenzen wird in den nächsten Monaten weiter steigen. Im Juli 2025 sind die Unternehmensinsolvenzen gegenüber dem Vormonat um fast 20 Prozent gestiegen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung auf Monatssicht und mit dem Blick auf den Anstieg der Insolvenzen, den es ja bereits seit zwei Jahren gibt und sich fortsetzen dürfte? Hantzsch: Nachdem es in den Monaten zuvor in der Tat einen eher moderaten Zuwachs gegeben hat, wirkt große Anstieg im Juli wie ein Weckruf. Er ist jedoch weder Anlass zur Panik noch ein einmaliger Ausreißer. Vielmehr reiht er sich ein in ein Muster, das wir seit 2023 beobachten: eine anhaltende Erosion in Teilen der deutschen Unternehmenslandschaft. Wichtig ist und bleibt gleichwohl: Insolvenzen sind volkswirtschaftlich gesehen kein Makel, sondern Teil einer gesunden Marktwirtschaft. Doch wenn sie gehäuft in besonders innovations- und beschäftigungsintensiven Branchen auftreten, dann ist das ein Alarmsignal. Genau das sehen wir derzeit: Strukturelle Krisen, die sich über Jahre aufgebaut haben, brechen nun offen auf. Was sind Ihrer Ansicht nach die Ursachen für diese Entwicklung? Hantzsch: Die Versuchung ist groß, die derzeitige Lage allein mit aktuellen Belastungen wie Energiepreisen, Zöllen oder geopolitischen Risiken zu erklären. T I TEL

Diese Faktoren sind real, doch sie wirken wie ein Brandbeschleuniger auf bestehende Schwachstellen. Besonders kritisch ist die Lage im verarbeitenden Gewerbe: Fast 1.000 Insolvenzen im ersten Halbjahr 2025 bedeuten in diesem Bereich ein Plus von 17,5 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Hinzu kommt: Energieintensive Branchen wie Papier-, Glas- oder Chemieproduktion leiden sogar dreifach – unter steigenden Kosten und zunehmendem internationalen Wettbewerbsdruck und einer sinkenden Nachfrage auf dem heimischen Markt. Fakt ist: Wer seine Energieeffizienz und Produktivität in den guten Jahren nicht erhöht hat, wird jetzt vom Markt bestraft. Wer zu spät handelt, den bestraft der Markt. Aber ist es wirklich so einfach? Hantzsch: Wenn dem so wäre, wäre der Handlungsdruck nicht so groß! Besonders besorgniserregend ist, dass derzeit nicht nur unprofitable Unternehmen aus dem Markt ausscheiden, sondern gerade auch innovative, forschungsintensive Unternehmen – und das zudem aus vielschichtigen Gründen. Unsere Daten zeigen, dass 2024 14.000 technologieorientierte Dienstleister aufgegeben haben oder aufgeben mussten – oft nicht, weil ihnen die Aufträge gefehlt haben, sondern weil sie diese wegen fehlender Fachkräfte nicht bearbeiten konnte. Der Fachkräftemangel in Digital- und MINT-Berufen wirkt wie ein unsichtbarer Bremsklotz für die Transformation. Wenn junge, zukunftsträchtige Unternehmen schließen, weil sie keine passenden Mitarbeiter finden, verlieren wir als Volkswirtschaft doppelt – an Innovationskraft und an internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Zugleich ist die Gründungsdynamik schwach. Zwar stieg die Zahl der Gründungen 2024 leicht auf 585.000, doch bei Vollerwerbsgründungen gab es ein Minus. Das Risiko: Weniger neue Unternehmen bedeuten weniger frische Ideen und Impulse für den Wettbewerb. Das klingt nach einer neuen Qualität der Krise. Hantzsch: Ja, frühere Insolvenzwellen – etwa nach der Finanzkrise 2009 – waren vor allem konjunkturell getrieben. Heute sehen wir eine Mischung aus zyklischen und strukturellen Faktoren: schwache Nachfrage, hohe Kosten, demografischer Wandel und disruptive Technologien. Diese Krise unterscheidet sich von vielen früheren: Sie betrifft gleichzeitig Nachfrage, Kostenstruktur und Innovationsbasis – das macht sie besonders gefährlich. Selbst eine konjunkturelle Erholung würde viele betroffene Unternehmen nicht mehr retten, weil ihre Geschäftsmodelle nicht mehr tragfähig sind. Der Handlungsdruck ist groß, welche Handlungsempfehlungen geben Sie? Hantzsch: Ich teile die Handlungsempfehlungen für drei Adressaten auf. Für die Politik: Bürokratieabbau, schnellere Genehmigungen, One-Stop-Shops für Gründungen und gezielte Förderprogramme für High-Tech-Start-ups sind überfällig. Für etablierte Unternehmen: Kontinuierliche Investitionen in Innovation, Digitalisierung und Effizienz sind Pflicht. Wer sich nicht regelmäßig neu erfindet, wird irgendwann vom Markt erfunden. Für Gründerinnen und Gründer: Mut zum Risiko, gerade in Zeiten des Wandels. Wer eine Nische erkennt, sollte nicht zögern. Der Fachkräftemangel kann auch eine Chance sein – für Unternehmen, die attraktiv für knappe Talente werden. Der Interviewpartner: Patrik-Ludwig Hantzsch ist Leiter der Wirtschaftsforschung und Pressesprecher beim Verband der Vereine Creditreform in Neuss.

SCHÖNER SCHEITERN ODER MEHR MINDSET WAGEN Eine Restrukturierung findet nicht in einem Vakuum statt. Deshalb lohnt es sich, über die Grenzen des eigenen Mandats hinauszublicken und die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Deutschland genau zu beobachten. Und die stockt ganz erheblich, findet Prof. Dr. Markus W. Exler. Aber die Chance, das wirtschaftliche Lenkrad herumzureißen, besteht weiterhin – und die Antwort darauf, ob und wie sie genutzt wird, dürfte die Sanierungsbranche langfristig prägen. Herr Prof. Exler, wäre die deutsche Wirtschaft ein Kraftwagen, würde ein Mechaniker wegen den komischen Geräuschen aus dem Motor skeptisch werden. Es läuft einfach nicht so richtig rund. Wie herausfordernd ist es, Unternehmen in solch einem Umfeld zu sanieren? Exler: Was die Lagebeschreibung angeht, haben Sie Recht. Nur würde der Mechaniker nicht nur komische Geräusche hören, sondern vermutlich den Kopf schütteln und schon einmal die Hebebühne vorwärmen, um dem wirtschaftlichen Totalschaden zuvorzukommen. Denn es sieht in der deutschen Wirtschaft in der Tat nicht gut aus, und das ist keine gute Basis für wirtschaftliche Restrukturierungen und Sanierungen. Meine These: Die Kosten für unternehmerisches Scheitern sind bei uns zu hoch und die Investitionsneigung nimmt außerdem seit etwa 2017 massiv ab. Es werden im Wesentlichen Ersatz-, aber keine Erweiterungsinvestitionen getätigt. Um Erweiterungsinvestitionen durchzuführen, braucht es Vertrauen für ein neues Geschäftsmodell sowie auch die Chance, dass ein Irrtum zurückgebaut werden kann. Und genau das ist aktuell nicht möglich. All das führt in den kommenden Jahren zu einem sehr herausfordernden Umfeld für strauchelnde Unternehmen und ihre Sanierung. Eine starke These. Welche Ursachen sehen Sie dafür? Exler: Als Restrukturierer orientiere ich mich gerne an den vier Basisinhalten eines Sanierungsgutachtens. Und mit Blick auf die Krisenursachen sehe ich beispielsweise ein Wegfallen der billigen Energie aus Russland seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine, eine Verengung des bislang uneingeschränkten Absatzmarkts in China und auch eine tiefe Verunsicherung durch den Verlust der preiswerten militärischen Sicherheit durch die Vereinigten Staaten. Das sind geopolitische Entwicklungen. Exler: Richtig, aber sie prägen auch die Entwicklung innerhalb der EU und in Deutschland enorm. Auf nationaler Ebene betrachte ich beispielsweise die überbordende Bürokratisierung mit unnötigen Berichtspflichten und viel zu langen Genehmigungsverfahren sowie die fehlende Digitalisierung mit Der Interviewpartner: Prof. Dr. Markus W. Exler ist Partner der Kölner Digital- & Transformationsberatung nexum AG. An der Fachhochschule Kufstein Tirol ist er seit 2003 Professor und verantwortet das von ihm gegründete Institut für Grenzüberschreitende Restrukturierung. THEMA

Sorge. Sehen Sie, es wird empfohlen, fünf Prozent des jährlichen Umsatzes für Digitalisierung auszugeben, und Deutschland liegt weit darunter. Wir sind im Vergleich zu anderen Industrieländern an vorletzter Stelle, und unsere Prozesse innerhalb von Unternehmen und auch in der öffentlichen Verwaltung sind entsprechend ineffizient und oftmals geradewegs altmodisch. Würde Sie das als Investor optimistisch stimmen, in ein deutsches Unternehmen einzusteigen? Aber ist das nicht alles ein bisschen zu sehr Schwarzmalerei? Exler: Vielleicht, aber ich bin ja auch Europäer. Und wir haben eben aktuell eine recht pessimistische Sicht auf die Dinge, auch wenn die nicht gerechtfertigt ist. Das geht den meisten wohlhabenden Ländern in Westeuropa so, Frankreich, Italien, Deutschland… Aber so richtig überrascht mich dieses negative Mindset nicht. Europa hat leider keine Tech-Milliardäre, die als Vorbilder für Optimismus sorgen können. Und wir haben als Gesellschaft keine Ideen für wirklich zukunftsweisende Technologien. Sehen Sie, wir wissen beispielsweise, dass US-basierte Cloudlösungen mit großer Unsicherheit behaftet sind, aber wir wollen nicht die notwendigen Milliarden in die Hand nehmen, um Europa technisch auf den Stand zu bringen, da ein echter Konkurrent zu sein, beziehungsweise echte Alternativen anzubieten. In China ist das beispielsweise ganz anders. China ist aber politisch und wirtschaftlich anders strukturiert als Deutschland. Wäre es nicht an der Politik, auch hierzulande gangbare Lösungen anzubieten? Exler: Schon, aber wir sehen ja aktuell, dass die Erwartungshaltung der Wirtschaft und das Selbstverständnis der Regierung dahingehend deutlich auseinandergehen. Der Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot ist ein Relikt aus den 199er Jahren. Ein so genannter „Abschreibungsbooster“ ist doch zu kurz gesprungen. Wir wissen doch, dass die weltweit wertvollsten Unternehmen ohne abschreibbare Assets auskommen. Man blicke beispielsweise auf die Tech-Giganten in den USA. Das ist auch deshalb schade, weil Unternehmen bei uns, wie bereits erwähnt, nachweislich ihre Investitionen in Deutschland massiv zurückgefahren haben, und zwar aufgrund eines fehlenden Vertrauens in den Standort. Schließlich sorgt die sehr arbeitnehmerfreundliche Gesetzgebung dafür, dass etwaige Fehlentscheidungen nur sehr teuer zurückgedreht werden können. Das alles macht die Lage für Unternehmen hierzulande unflexibel und herausfordernd und hat Strahlkraft über die Landesgrenzen hinaus. Was braucht es denn Ihrer Meinung nach, damit die Situation besser wird? Exler: Eines ist sicher: Es liegt nicht nur am Geld. Wir verfügen über Steuereinnahmen von knapp einer Billion Euro pro Jahr, das sollte doch reichen. Die jährlichen Ausgaben sind bei etwa 500 Milliarden Euro, wovon etwa 38 Prozent auf Renten und Bürgergeld fallen. Einsparungen werden sich da in der aktuellen politischen Gemengelage kaum umsetzen lassen. Stattdessen brauchen wir eine Mindset-Änderung in Deutschland. Mehr Leistungs- anstelle von Genussglück und einen Fokus auf Possibilismus als Gegenentwurf zum Determinismus. Genuss ist nur kurzfristig, die Bestätigung über eine erbrachte Leistung hält viel länger an. Und Possibilismus heißt doch nur aufzustehen und an das Morgen glauben und sich nicht von gesellschaftlicher Kleinkariertheit bremsen zu lassen. Wir müssen das Denken in zukünftigen Geschäftsmodellen lernen und für unsere Wirtschaft die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen – etwa mit einer reformierten Arbeits- und Steuergesetzgebung und dem schon lange versprochenen, aber immer noch auf sich warten lassenden Bürokratieabbau. Dann werden auch Unternehmen, die gerade eine Restrukturierung hinter sich haben oder absehbar vor einer solchen stehen, ein optimales Umfeld haben, um wieder Fuß zu fassen und langfristig erfolgreich zu sein. Und davon profitieren am Ende alle – Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Lieferanten, Partner und in Konsequenz auch alle Menschen im Land.

ÜBERALL UND MIT UNTERNEHMEN IM FADENKREUZ V Kriege zwischen Staaten werden schon lange nicht mehr nur von Soldaten auf physischen Schlachtfeldern ausgetragen. Angriffe auf Politik-, Wirtschafts- und Informationssysteme sind an der Tagesordnung – und zeigen Wirkung. Wirtschaftsunternehmen sollten sich dringend damit auseinandersetzen, um bei etwaigen Zwischenfällen gerüstet zu sein, sagt Ralph Thiele, Oberst a.D. der Bundeswehr. Herr Thiele, Spionage, Fake-News und Desinformationskampagnen aus dem Ausland, Hackerangriffe gegen kritische Infrastruktur, sogar Unterseekabel werden angegriffen. Hat sich die Kriegsführung in den letzten Jahren verändert? Thiele: Das steht außer Frage, aber der Punkt ist, inwiefern. Und da sehen wir in der Tat einen klaren Wandel hin zu hybrider Kriegsführung mit all ihren Facetten, von denen Sie ja einige wichtige genannt haben. Und mehr noch: Wir nehmen wahr, dass diese hybriden Konflikte immer stärker auch oder sogar primär auf zivile Ziele einwirken. Das kann enormen Schaden anrichten, wenn beispielsweise ein mittelständisches Wirtschaftsunternehmen ins Fadenkreuz gerät. Unternehmensverantwortliche sollten dies unbedingt ernstnehmen und entsprechend priorisieren. Was verbirgt sich hinter dem Begriff hybride Kriegsführung? Thiele: Hybride Kriegsführung zielt mit Stress und Schockereignissen auf die Kohäsion und die Funktionsfähigkeit von Staaten und Gesellschaften. Hier werden Konflikte zwischen Staaten in Bereichen ausgetragen werden, die üblicherweise nicht primär militärischen Zwecken dienen. Man denke da beispielsweise an das Internet, an die Wirtschaft, die Medien, die Kultur. All diese Bereiche können manipuliert, angegriffen und damit zu Konflikträumen gemacht werden – mit dem Ziel, ein Land grundlegend zu erschüttern und in seiner Struktur zu schwächen. Dies ist keine neue Erfindung, aber in der Substanz, in der wir sie heute erleben, ist hybride Kriegsführung weitaus wirkmächtiger als je zuvor. Und das stellt damit auch eine Gefahr für zivile Unternehmen dar? Thiele: In der Tat. Man denke da beispielsweise an die Cyber-Angriffe Russlands auf deutsche Forschungseinrichtungen, Universitäten und Unternehmen, die es schon lange vor dem Ukraine-Krieg gab. Nur wurden diese Bedrohungen viel zu lange ignoriert, weil sie eben nicht als Teil einer breit gefassten Strategie interpretiert wurden. Dabei ist auf diese Weise beispielsweise viel Wissen über die Alleinstellungsmerkmale und die Wertschöpfungsketten der Industrie hierzulande abgeschöpft worden und fand dann den Weg in die russische Rüstungsindustrie. Und manchmal ist es auch noch grober. Da werden Der Interviewpartner: Ralph Thiele ist Militärexperte und ehemaliger Oberst der Bundeswehr. THEMA

T ALLEN MITTELN: VON HYBRIDER KRIEGSFÜHRUNG Unternehmenswebsites lahmgelegt oder Führungskräfte ausspioniert, um Druck auf sie auszuüben. Das ist keine Petitesse. Das klingt aber sehr nach James Bond. Thiele: Eher nach Ernst Stavro Blofeld, denn Russlands hybride Strategie hat ganz und gar nichts vom typisch britischen Understatement. Da werben Agenten beispielsweise lokale Helfer an, die Bombenanschläge, Brandstiftungen und Anschläge auf kritische Infrastrukturen verüben. Man denke da etwa an den Juli 2024, als sich im Logistikzentrum der DHL in Leipzig ein Brandsatz in einem ein Paket entzündete. Das hätte zu einem Flugzeugabsturz mit vielen Toten führen können. Oder an die bundesweite Sabotageaktion gegen Autos, bei denen Auspuffrohre verstopft und Sticker mit dem Bild von Robert Habeck und dem Slogan „Sei grün!“ hinterlassen wurden. Auch dahinter steckte offenbar Russland, mit dem Ziel, die Gesellschaft zu spalten. Hybride Angriffe dieses Zuschnitts erfolgen als Teil einer Kampagne mit zahlreichen Vektoren: Die Bundesrepublik soll geschwächt werden. In diesem Kontext sind Wirtschaftsunternehmen für Angreifer legitime, lohnende und leider oftmals leichte Ziele. Warum leicht? Thiele: Zahlreiche Unternehmen sind auf hybride Angriffsszenarien schlecht oder sogar gar nicht vorbereitet. Eine Microsoft-Studie vom Herbst vergangenen Jahres hat beispielsweise festgestellt, dass vier von fünf Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung Deutschlands digitale Abwehrbereitschaft gegenüber Cyber-Angriffen nur für gering halten. Aber Cyber-Sicherheit kostet Geld und Expertise – und man darf nicht vergessen, dass Angreifer auf dem digitalen Schlachtfeld nur einmal Erfolg haben müssen, Verteidiger aber immer. Das macht Unternehmen verletzlich. So kann eine Störung in der Lieferkette vor dem Hintergrund einer angespannten Wirtschaftslage verheerende Effekte nach sich ziehen. Zum Glück muss das nicht so sein. Was empfehlen Sie denn Unternehmen in Deutschland, die nicht Opfer hybrider Kriegsführung werden wollen? Thiele: Man darf dem Aggressor nicht das Terrain überlassen. Genauso detailliert, wie der hybride Aggressor agiert, müssen auch die Schutzmaßnahmen gedacht werden. Das gilt für die staatliche Seite ebenso wie für Unternehmen. Wo es auf der einen Seite mehr politische, wirtschaftliche und militärische Selbstbehauptung braucht – im Großen, sozusagen – braucht es auch auf der operativen Ebene Strategien, wie mit verschiedenen Bedrohungsszenarien konkret umzugehen ist. Wie kann man sich und seine Organisation 0ptimal schützen? Was sind mögliche Risiken und wie kann man diese minimieren? Und welche Vorsorge kann man treffen, dass wenn doch ein Schaden eintritt, dieser möglichst klein bleibt? Ein ausgewogenes Expertise-Portfolio ist der Schlüssel für nachhaltigen, umfassenden Schutz. Ganz selbstverständlich zählt dazu auch Rechtsexpertise. Längst ist Lawfare eine außerordentlich wirksame Komponente hybrider Angriffsszenarien.

Die deutschen Winzer und Weinbauern steuern auf eine der größten Krisen seit Jahrzehnten zu. Ein strukturelles Überangebot von Reben, sinkende Bodenrichtwerte und Betriebe, die kaum kostendeckend operieren – die Branche steht vor einer umfassenden Restrukturierung. Doch gesunde Sanierungen sind möglich. Prof. Dr. Simone Loose, die Leiterin des Instituts für Wein- und Getränkewirtschaft an der Hochschule Geisenheim, erläutert, worauf es dabei ankommt. Frau Loose, Deutschland ist ein wichtiges Weinland und beim Weinexport weltweit unter den Top Ten vertreten. Aber wie würden Sie den wirtschaftlichen Zustand der Weinregion Deutschland aktuell beschreiben? Frisch? Spritzig? Feurig? Loose: Aktuell würde ich leider eher herb sagen. Die deutsche Weinwirtschaft befindet sich in einer herausfordernden Lage, und die Unternehmen spüren das auch. Immer mehr reden deshalb von einer Krise und hoffen, dass bald wieder Normalität einkehrt – oder das, was sie sich darunter vorstellen. Und wann wird das sein? Loose: In absehbarer Zeit sehen wir das leider nicht. Dafür sind die wirtschaftlichen Treiber der aktuellen Situation viel zu stark. Sehen Sie, eine Vielzahl ungünstiger Faktoren setzt die Weinindustrie hierzulande wirtschaftlich gesehen enorm unter Druck. Das ist eine komplexe Gemengelage, die sich auch nicht einfach auflösen oder zurückdrehen lässt. Welche Faktoren sind da am wichtigsten? Loose: Wir sehen fünf zentrale Treiber, die auf die Weinwirtschaft einwirken. Da sind einmal die Produktionskosten, die alleine seit 2019 um 30 bis 40 Prozent angestiegen sind. Das liegt etwa am erhöhten Mindestlohn, an den steigenden Energiekosten und an der grundlegenden Inflation, die ja alle Menschen im Land beschäftigt. Dann ist das verfügbare Einkommen vieler Menschen geringer, weil sie beispielsweise die aktuelle wirtschaftliche Unsicherheit spüren. Sie wollen in dieser Situation nicht mehr so viel Geld für Wein und Genussgüter ausgeben, wie früher noch. Gibt es weitere Treiber? Loose: Hinzu kommt, dass Wein auch ein Stück weit als alltägliches Genussgetränk zurückgetreten ist. Verbraucher achten immer mehr auf ihre Gesundheit, gerade ältere, und auch die junge Generation distanziert sich zunehmend vom Alkohol – unabhängig davon, ob er sich im Kulturgetränke wie Wein oder in einem Vodka-O befindet. Das hat in der Industrie zu einer vermehrten Herstellung von neuen Getränken gesorgt. Das zeigt beispielsweise der Erfolg von alkoholfreien Bieren, dem die Winzer mit alkoholfreiem Wein nacheifern wollen. Und schließlich spürt auch die Weinindustrie die Auswirkungen des demografischen Wandels. Die kommenden Generationen sind deutlich kleiner als die, die heute noch die Hauptzielgruppe für Wein darstellen. Das ist die Realität, mit der die Branche heute konfrontiert ist. Die Interviewpartnerin: Prof. Dr. Simone Loose ist Leiterin des Instituts für Wein- und Getränkewirtschaft an der Hochschule Geisenheim. DIE WEINWIRTSCHAFT AM KIPPPUNKT THEMA

Statt gutem Wein also alles Essig? Loose: Es gibt noch viel sehr guten Wein, aber der Essiganteil ist bereits schmeckbar. Fakt ist, dass diese aktuelle Gemengelage allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter bestehen bleiben wird. Das heißt, dass wir vor einer tiefgreifenden Veränderung in der deutschen Weinindustrie stehen und sich die Unternehmen dringend dieser neuen Realität stellen sollten. Um es ganz deutlich zu sagen: Wie stehen vor einem Einschnitt, den es in dieser Größe seit Ende des zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben hat. Die gute Nachricht ist aber, dass Krisen auch immer eine Chance darstellen, sich neu auszurichten und zukunftsfähig zu machen, und viele Unternehmen tun dies bereits. Ein Patentrezept gibt es dafür aber leider nicht. Wie das genau ausschaut, ist immer individuell. Vielleicht könnten Sie dennoch die häufigsten Situationen umreißen. Loose: Gerne. Wenn wir uns die Betriebe selbst anschauen, können wir drei grundlegende Kategorien unterscheiden. Da sind erstens Betriebe, die nicht genug Erlöse erwirtschaften, um die laufenden Ausgaben zu decken. Sprich, es wird stetig Geld verloren, und es ist auch nicht absehbar, dass sich daran nach einer Restrukturierung etwas ändern würde – gerade, weil die Rahmen- und Marktbedingungen sich stark verändern. Solche Betriebe sollten besser aufgegeben werden, um weitere Verluste gering zu halten – auch wenn dies natürlich schmerzhaft ist. Welche Betriebe gehören zur Kategorie zwei? Loose: Das sind die sogenannten Auslaufbetriebe. Das sind solche, die genug Geld erwirtschaften, um die laufenden Ausgaben zu decken, aber nicht die Vollkosten wie Abschreibungen auf Anlagegüter wie Rebflächen, Maschinen und Gebäude oder sogar Lohn für die Familienarbeitskräfte. Gegebenenfalls ist auch noch die Verzinsung des Eigenkapitals negativ und es wird überhaupt kein neues Eigenkapital gebildet. Solche Auslaufbetriebe können mitunter noch jahre- oder sogar jahrzehntelang bestehen, sind aber kein sinnvolles Ziel mehr für Neuinvestitionen. Wir wissen, dass ein großer Teil der aktuell gefährdeten Betriebe zu dieser Gruppe zählen. Und die dritte Kategorie? Loose: Das sind die Zukunftsbetriebe, also solche, die nicht nur kostendecken arbeiten, sondern auch ihre Familienarbeitskräfte angemessen entlohnen. Als Sahnehäubchen haben sie auch eine gute Verzinsung ihres Eigenkapitals. Wie viele das genau sind, lässt sich zwar nicht auf den Betrieb genau beziffern, aber wir gehen davon aus, dass das etwa ein Viertel ist. Und bei diesem Viertel ist eben ein wirtschaftlicher Zukunftsplan nicht nur möglich, sondern eben nötig. Dann kann auch in Zeiten sinkenden Weinabsatzes noch gesund wirtschaftlich gehandelt werden. Was gehört in so einen Zukunftsplan? Loose: Ein Zukunftsplan sollte Investitionen, Personalbedarf, eine klare Marktpositionierung und auch eine geregelte Unternehmensnachfolge umfassen. Es geht um eine Restrukturierung mit Blick auf die absehbaren Trends der Zeit, die wirtschaftlichen Ströme, die die Weinbranche nicht nur heute prägen, sondern auch in fünf, zehn, zwanzig Jahren beeinflussen werden. Wie sich genau verhalten wird, ist ebenso individuell zu prüfen und zu planen, wie die Unternehmen heute ihr Geschäftsmodell aufgestellt haben. Sehen Sie, es reicht nicht, abzuwarten und zu hoffen, dass sich die Situation bessert. Es braucht eine ehrliche, ernste Analyse der Wirtschaftlichkeit und der wirtschaftlichen Zukunftsmöglichkeiten des eigenen Betriebs. Dabei ist die Unterstützung durch externe Expertise dringend zu empfehlen, um wirklich für eine objektive und strategisch belastbare Einordnung zu sorgen und auch in Zeiten der absehbaren Marktbereinigung zu bestehen. Geschieht dies aber, kann die aktuelle Krise wirklich die Keimzelle für eine langfristige Neuorientierung, und damit zu einem echten Wachstumsschub werden.

CustomCells galt als Hidden Champion unter den Batteriezellenherstellern. Nach dem öffentlichkeitswirksamen Insolvenzverfahren gehört das „Hidden“ aber sicherlich der Vergangenheit an, ein Champion im Bereich Batteriezellen ist und bleibt CustomCells aber weiterhin. Maßgeblichen Anteil daran, dass das Startup nur zwei Monate nach dem Insolvenzantrag mit neuen Investoren wieder positiv in die Zukunft blicken kann, hat das Zusammenspiel von Insolvenzverwaltung und Sanierungsarbeitsrecht. Der neunte Teil unserer Serie „Erfolgsfaktor Sanierung“. Lithium-Ionen-Akkus funktionieren nach einem einfachen, aber wirkungsvollem Prinzip: Die elektrische Energie in den Akkus wird durch einen chemischen Prozess gespeichert und genutzt, um sogenannte Abnahmegeräte – also etwa Mobiltelefone, aber auch Elektrofahrzeuge oder -flugzeuge – anzutreiben. Jeder Akku wiederum setzt sich aus vielen einzelnen Batteriezellen zusammen. CustomCells hat sich seit dem Start 2012 als Ausgründung des Fraunhofer-Instituts auf die Entwicklung und Fertigung spezieller Lithium-Ionen-Batteriezellen mit einer hohen Energiedichte fokussiert, die dadurch zum zentralen Baustein bei der elektrischen Transformation des Fliegens werden sollten. Um als Hauptlieferant des Flugtaxi-Startups Lilium abzuheben, wurde im baden-württembergischen Tübingen die Pilotanlage für eine automatisierte Serienfertigung gebaut. Aber nicht nur in die Luft, sondern auch auf die Straße und aufs Wasser wollte und will das Startup seine Premium-Batteriezellen bringen. Zudem gibt es zahlreiche weitere Branchen, in denen für die Elektrifizierung leistungsstarke Batterien als Energiespeicher gebraucht werden. (Zu) hoch geflogen? Wie konnte es also dazu kommen, dass ein so zukunftsfähiges wie hochtechnologisch ausgerichtetes Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten einen Insolvenzantrag stellen musste? Auslöser für die finanziellen Turbulenzen bei CustomCells waren die Insolvenz und der damit verbundene Zahlungsausfall von Lilium Ende Oktober 2024. Der größte Kunde von CustomCells konnte offene Forderungen in niedriger zweistelliger Millionenhöhe nicht beglichen. Dadurch entstand eine Liquiditätslücke, die CustomCells aus eigener Kraft nicht mehr schließen konnte. Da das Unternehmen zudem in der zur Verfügung stehenden Zeit keine neuen Investoren finden konnte, die ihm finanziell unter die Flügel greifen konnten, musste Ende April 2025 der Insolvenzantrag gestellt werden. Übernahme durch industrienahe Family Offices Dr. Malte Köster, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht und Gründungspartner der Kanzlei WILLMERKÖSTER, wurde als vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und startete als eine seiner ersten Handlungen gemeinsam mit der CustomCellsGeschäftsführung die Suche nach passenden Investoren Foto: https://customcells.com/ DER WIRTSCHAFTLICHE AKK Über CustomCells: CustomCells mit Sitz in Itzehoe ist einer der wenigen europäischen Akteure im Bereich von maßgeschneiderten, hochleistungsfähigen Batteriezellen und einer der ganz wenigen deutschen Batterie-Hersteller. CustomCells wurde 2012 als Spin-off der deutschen Fraunhofer-Gesellschaft gegründet und unterstützt seine Kunden entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von der ersten Konzeptentwicklung bis zur Belieferung von Zellen in Serienproduktion. SER I E

– eine Suche, die bereits zwei Monate später, zum 1. Juli 2025, mit der Übernahme von CustomCells durch ein Konsortium industrienaher Family Offices erfolgreich abgeschlossen wurde. Durch die Übernahme konnten am Stammsitz von CustomCells in Itzehoe 80 Prozent der Arbeitsplätze erhalten werden. Transparente Kommunikation „Insgesamt hatte CustomCells an den Standorten Itzehoe und Tübingen rund 200 Mitarbeitende. Trotz der Größe der Belegschaft herrschte im Unternehmen nach wie vor eine Startup-Kultur, was uns als vorläufige Insolvenzverwaltung in diesem Fall durchaus vor eine besondere Herausforderung gestellt hat“, sagt Köster. „Am Standort in Tübingen ruhte zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags der Geschäftsbetrieb bereits – und auch im Zuge der Investorensuche haben sich keine tragfähigen Perspektiven für eine Wiedereröffnung ergeben, was für die Mitarbeitenden dort und ihre Kollegen in Itzehoe natürlich keine schöne Nachricht war, die wir aber sehr transparent kommuniziert haben. Für die Rettung des Unternehmens als solches war die Loslösung der Standorte voneinander jedoch alternativlos.“ Inzwischen ist die geordnete Abwicklung des Werks in Tübingen nahezu abgeschlossen. Direkt loslegen „Dass es Standorte gibt, für die es eine Fortführungslösung gibt, wohingegen andere Standorte eines Unternehmens geschlossen werden müssen, ist in einem Insolvenzverfahren nicht ungewöhnlich“, sagt Alexander von Saenger, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Schultze & Braun, der die sanierungsarbeitsrechlichen Belange im Verfahren CustomCells gesteuert hat. „Natürlich wäre es schöner gewesen, wenn beide Standorte und alle Arbeitsplätze zu retten gewesen wären. Die Suche nach passenden Investoren und die Verhandlungen mit diesen mussten aber, wie es in Insolvenzverfahren oft der Fall ist, unter großem Zeitdruck erfolgen. Hinzu kommt die Tatsache, dass der für den Erhalt des Unternehmens notwendige Personalabbau parallel zu den Investorengesprächen erfolgen musste. Es war daher für alle Seiten wichtig, dass wir im Sanierungsarbeitsrecht direkt loslegen konnten.“ Erwerberkonzept erarbeitet und umgesetzt Aber nicht nur der Insolvenzverwalter, sondern auch die Erwerber von CustomCells haben auf die sanierungsarbeitsrechtliche Expertise von Alexander von Saenger und seinem Team gesetzt. „Für das FamilyOffice-Konsortium haben wir zusammen mit dem Erwerber und dessen anwaltlicher Beratung nach dessen Vorgaben ein Erwerberkonzept aufgestellt und dann umgesetzt, damit die Übernahme des Geschäftsbetriebs am Stammsitz in Itzehoe in der vergleichsweise kurzen Zeit, die zur Verfügung stand, erfolgreich abgeschlossen werden konnte“, sagt von Saenger. Die Sanierungschancen genutzt „Mein Dank gilt allen Beteiligten, die die Sanierung des Unternehmens begleitet haben. Dem Team bei CustomCells wünsche ich für den Neustart alles Gute. Ich bin überzeugt: Innovative und hochleistungsfähige Batteriezellentechnologie aus Deutschland hat ihre Chancen“, fasst Insolvenzverwalter Köster das Ergebnis zusammen. Mit dem Blick auf die erfolgreiche Sanierung von CustomCells kann man definitiv sagen, dass das Unternehmen die Sanierungschancen unter dem Schutz des Insolvenzrechts genutzt hat. Mit den neuen Investoren ist der wirtschaftliche Akku von CustomCells wieder aufgeladen, und es bestehen wieder stabile Perspektiven für die Zukunft. KU IST WIEDER AUFGELADEN Im vorangehenden Teil von „Erfolgsfaktor Sanierung“ steht die Sanierung des Stendaler Metallverarbeiters JS Lasertechnik in zwei Schritten im Fokus. Der Insolvenzverwalter und die beiden Führungskräfte, die das Unternehmen im Rahmen eines Management Buy Outs (MBO) übernommen haben, geben einen Einblick in das Verfahren, bei dem es vor allem auf die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten ankam.

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